3. März - 25. März 2023
Eröffnung am 3. März um 19:00 Uhr, Stadtgalerie „Alte Post“
Öffnungszeiten Mo - Fr 14 - 18 Uhr, Sa 10 - 14 Uhr
Weitblick
Thomas Lippick - Der zweite Blick
Seit 30 Jahren beschäftigt sich Thomas Lippick mit einer alten klassischen Maltechnik, der Tempera, genauer gesagt der Eitempera. Im Unterschied zur Ölmalerei werden hier Pigmente und Erden mit einer Emulsion vermischt, die es auch erlaubt, die Farben mit Wasser zu verdünnen. Ein Vorteil für die Arbeitsweise von Thomas Lippick, der große Flächen mehrschichtig auf die Leinwand aufträgt und gestaltet.
Die Leinwände werden zu Beginn mit einer Spachtelmasse bearbeitet, in die verschiedene Materialien mit eingearbeitet werden. Sand oder Asche mit verschiedenen Grautönen und Holzkohleresten lassen eine Fläche entstehen, die die Assoziation von alten, verblichenen Hauswänden aufkommen lässt. Eine Anlehnung an alte Freskotechniken ist hier sichtbar.
Ein Teil der Arbeiten setzt sich mit der klassischen Abstraktion auseinander. Form, Farbe, Linie, Fläche werden hier zum Inhalt der ruhigen, vielschichtigen Arbeiten. Ein anderer Teil der Bilder wird beim Betrachter schnell Assoziationen hervorrufen. Diese mit bildhaftem Sinn zu füllen, überlässt Thomas Lippick ganz bewusst der individuellen Vorstellungskraft der Rezipienten, indem er seinen Werken keine Titel gibt. Landschaften, Horizonte, Figurengruppen, immer abstrakt gehalten, führen dabei zu sehr unterschiedlichen Interpretationen.
Bei Lippick ist es Konzept, dass der Betrachter über seine eigene Gedankenwelt in die Bilder hineingeführt wird, dazu verhilft immer auch die Andeutung eines Horizonts, einer Vertikalen, die Landschaft andeutet. Aber eben auch immer nur andeutet. Nie wird der Künstler in seinen Arbeiten so konkret, dass Bildelemente eindeutig bestimmbar wären. Was Sie aus der Ferne sofort als kleine Figuren, als Staffage zu erkennen glauben, wird aus der Nähe zu einem Fleck, einem Strich und man ist erstaunt, wie intensiv dennoch die figurative Wirkung sein kann. In diesem Sinne ist Lippick ein Meister der Abstraktion.
Wichtig ist dem Künstler dabei auch die Intensität der Betrachtung, diese Bilder sind nicht für eine oberflächliche Rezeption geeignet, sie wollen ein Gegengewicht zur Schnelllebigkeit der heutigen Lebensverhältnisse schaffen, den Betrachter einladen zur konzentrierten Langsamkeit. Es sind Oberflächen von einer wunderbaren Kraft, die einen fast zauberisch in ihren Bann ziehen. Es sind Oberflächen, die in die Tiefe gehen, wenn das nicht ein Paradox wäre. Aber vielleicht ist es eher so, dass die Oberflächen einen in die Tiefe locken.
Lippicks Bilder haben so einen - fast möchte ich sagen - ‘Schmelz’, der den Betrachter dazu verleitet, sich in das Bild zu vertiefen, es auch zu befragen, ja - man möchte eigentlich das Geheimnis lüften. Aber das Schöne an diesen Bildern ist, dass es gleichzeitig sein Geheimnis preisgibt und es doch für sich behält. Die Faszination dieser subtilen Wirkung stellt sich bei jedem Hinsehen wieder neu ein.
Die Mehrschichtigkeit und Farbigkeit der Bilder erzeugt eine Tiefe, die – verschwommen in ihrer unkonkreten Darstellung – auch einen Aspekt der Zeit, des Vergangenen und schon Gesehen assoziieren lässt. Die manchmal fast meditative Wirkung der Arbeiten bringt den Betrachter dazu, genau hinzusehen, sich regelrecht in die Bilder hineinzubegeben. Oder, wie es ein Ausstellungsbesucher formuliert hat: „Diese Bilder brauchen den zweiten Blick“.
Die Lehrer, die Lippick beeinflusst, vielleicht gelenkt haben, sind in dieser Hinsicht ebenfalls Meister: Man erkennt die Bauhausschule, die klassische Moderne, die sich in Lippicks raffinierten Proportionsfindungen ablesen lässt, auch in den älteren Bildern von Lippick dominiert das klassisch Abstrakte ganz im Sinne Kandinskys ‘von Punkt zur Linie zur Fläche’. Dazu kommt der Einfluss von Mondrian mit seiner Waagrecht-Senkrecht Spannung und Rothko auch, der mit seinen massiven Farbflächen ebenfalls in den Bildern von Lippick zu finden ist.
Tilmann Rothermel